Konzentration ist ja mit ADHS so eine Sache. Enweder sie ist da und saugt mich regelrecht ein (kommt seltener vor, als ich mir wünschen würde) oder sie ist eben nicht da bzw. nur mit echtem Aufwand zu halten. Sind wir ehrlich: Manchmal hilft einfach gar nichts, um mich wirklich konzentrieren zu können. Aber meistens gelingt es mit ein paar Tricks eben doch. Wenn ich eins im Lauf meines Lebens gelernt habe, dann sind es Tipps und Tricks für alle Lebenslagen. Weil ich mich eigentlich ständig selbst überlisten und mir immer wieder etwas Neues ausdenken muss, um am Ball zu bleiben.
Sabine Landua fragt in ihrer Blogparade nach unseren besten Tipps für mehr Konzentration. Hier sind meine 6 wichtigsten Tipps, die (mit Ausnahme von Nr. 6) auch für Menschen ohne ADHS funktionieren:
Fokus-Tipp 1: Smartphone stilllegen (mit App-Tipp)
Es ist ein Klassiker, aber gerade deswegen nicht zu unterschätzen: das Smartphone als ständige Ablenkungsquelle, die es zu kontrollieren gilt. Ton und Benachrichtigungen habe ich sowieso dauerhaft aus, das ist also nicht das Problem. Aber kaum habe ich drei Sekunden Leerlauf (zum Beispiel zwischen zwei Aufgaben oder auch, wenn ich nur auf das Laden einer Webseite warten muss), greife ich ganz automatisch zum Handy.
Deshalb darf es entweder gar nicht im Raum sein (das ist das Optimum) oder ich schalte zumindest meine Forest-App an. Diese App rettet mir ganz oft den Konzentrations-Arsch, wenn ich selbst nicht dizipliniert genug bin. Und das, obwohl sie eigentlich total simpel ist: Während der von mir bestimmten Zeit (10 bis 120 Minuten) wächst auf dem Bildschirm meines Smartphones ein Bäumchen oder eine Blume. Wenn ich in dieser Zeit eine andere App öffne, stirbt die Pflanze. Also tue ich das natürlich nicht und lenke mich nicht mit Instagram, meinen Pikmins oder irgendeiner anderen Sache ab. Habe ich durchgehalten, werde ich mit einem niedlichen Pflänzchen in der App belohnt. Sehr niedlich und sehr zu empfehlen!
Fokus-Tipp 2: Ohrenstöpsel oder gezielte Geräusche
Ich trage bei der Arbeit fast immer Ohrenstöpsel. Selbst wenn ich alleine in der Wohnung bin (Tastatur und Maus sind sowieso schon geräuschreduziert). Das hat zwei Gründe: Zum einen lenken mich Nebengeräusche wahnsinnig leicht ab. Und zum anderen habe ich mein Hirn regelrecht darauf konditioniert, dass gearbeitet wird, wenn ich Ohrenstöpsel trage. Das funktioniert für mich meistens ziemlich gut.
Manchmal braucht es allerdings genau das Gegenteil, damit ich in Schwung komme und in der Konzentration bleibe: Lärm. Allerdings Lärm, der von mir kontrolliert wird, sodass er in einer Art Nebenspur läuft. Dann lasse ich entweder Brown Noise laufen (ziemlich laut) oder ich starte auf YouTube ein Zwei-Stunden-Video mit „Epic Music“ (noch lauter). Das schiebt mich dann mit ein bisschen Glück noch mal ordentlich an.
Fokus-Tipp 3: Meine innere Chefin und ich
Mit ADHS selbstständig sein, ist so eine Sache. Einerseits liebe ich es unendlich und es kommt meinen Besonderheiten durchaus zugute. Andererseits muss ich mich eben auch selbst organisieren, was – Überraschung – gar nicht so einfach ist. Ein Trick, der für mich gerade sehr gut funktioniert, ist dieser: Ich begebe mich aktiv entweder in die Rolle der Chefin oder in die der Mitarbeiterin. Die Chefin plant längerfristig und entscheidet, was gerade ansteht. Die Mitarbeiterin arbeitet nur noch ab. Größere Änderungen im Tagesablauf müssen mit der Chefin besprochen werden.
Das klingt ein bisschen albern, ich weiß. Aber es führt dazu, dass ich nicht ständig hinterfrage, ob ich vielleicht doch etwas anderes tun sollte. Ich bleibe dann leichter bei einer Sache. Jedenfalls im Moment. Dieser Trick ist nämlich ziemlich neu und es muss sich erst noch zeigen, ob er auf Dauer funktionieren wird. Aber das ist sowieso bei allen Tricks immer ein Risiko.
Fokus-Tipp 4: Tagesform beachten: Welche Aufgaben gehen gerade?
Je mehr ich mich zu einer Aufgabe zwingen muss, umso weniger gut gelingt mir die Konzentration. Klingt wie eine Binsenweisheit, ist aber ganz entscheidend für mich. Es gibt Tage und Siuationen, an denen ich mich besser mit Routinearbeiten beschäftigen kann. Zu anderen Zeitpunkten ist kreative Arbeit leichter. Und manchmal geht insgesamt nur wenig. Ich habe gelernt, mich so weit wie möglich an diese Tagesform anzupassen. Das reduziert meine inneren Kämpfe und verbessert die Konzentration deutlich. Und meistens folgt auf einen schlechten Tag ein guter, während ein erzwungener Tag mit zwei katastrophalen bestraft wird. Also gehe ich eben mit der Tagesform mit, soweit das geht.
Fokus-Tipp 5: Ausreichend große Zeiträume für Flow schaffen
Eine „Superkraft“ von ADHSler*innen ist der Hyperfokus. Das ist eine Art intensiver Flow, in dem wir Zeit und Raum vergessen und komplett in eine Aufgabe eintauchen. Leider habe ich mir diese Art des Arbeitens fast komplett abgewöhnt, weil ich immer wusste, dass ich dann womöglich die Kontrolle über meinen Tag verliere. Viele Jahre lang hatte ich ständig einen Blick auf die Uhr und habe mir kaum erlaubt, in den Flow zu kommen. Seit ich das weiß, versuche ich gegenzusteuern. Allerdings ist das eine echte Mammutaufgabe, mit der ich noch längst nicht fertig bin. Der wichtigste Faktor für mich ist, mir ausreichend große Zeiträume zu schaffen, in denen ich nicht gestört werde.
Und da wird das Thema von einem sehr speziellen zu einem ziemlich allgemeingültigen Tipp: Niemand kann tief in die Konzentration eintauchen, wenn es ständig Störungen gibt oder nur eine Viertelstunde Zeit ist. Deshalb sind längere Zeitfenster so wichtig, in denen möglichst wenig Störungen stattfinden. Ich kämpfe da am ehesten mit mir selbst, du vielleicht mehr mit Umgebungsvariablen. So oder so: Für Konzentration braucht es genügend Raum. Und für Flow erst recht.
Fokus-Tipp 6 (nur für ADHSler*innen): Medikamente
Der wichtigste Gamechanger für mich waren und sind ADHS-Medikamente, in meinem Fall Methylphenidat. Ich kam schon vorher zurecht, aber es ist ein so großes Geschenk, wenigstens für ein paar Stunden am Tag auf ein halbwegs ruhiges Gehirn zurückgreifen zu können!
Leider sind die Vorurteile gegenüber ADHS-Medikamenten immer noch sehr groß, was ich wirklich schade finde. Wenn du selbst von ADHS betroffen bist, rate ich dir dringend, mit deinen Ärzt*innen zu klären, ob die Medis vielleicht auch für dich infrage kommen. Wenn medizinisch nichts dagegen spricht, lohnt sich der Versuch wirklich!
Und funktioniert das mit den Fokus-Tipps wirklich?
Jein. Sie helfen und machen Dinge leichter. Aber sie geben keine Garantie, dass ich mich wirklich konzentrieren kann. Dann wurschtel ich mich eben durch und/oder probiere wieder neue Dinge aus. Diesen Blogartikel (und am besten gleich die ganze Blogparade) setze ich mir jedenfalls auf Wiedervorlage, für den Fall, dass ich mal wieder vergesse, mich an meine eigenen Tricks zu halten. Denn auch das kann leider passieren.
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