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„Ist Feminismus nicht längst unnötig?“ Mein Statement zum Frauentag

Silhouette eines Frauenkopfes, darin kämpferisch erhobene Fäuste. Text: 15 Gründe, warum Feminismus noch längst nicht unnötig ist.

Feminismus ist längst unnötig? Diese 15 Gründe sprechen definitiv dagegen.

Seit ich denken kann, höre ich vor allem von Männern, dass es mit dem Feminismus doch nun wirklich mal genug sei. Es gebe ja längst Gleichberechtigung und was man denn immer noch erreichen wolle. Dieser übertriebene Drang nach Frauenrechten sei doch eigentlich nur Männerhass. Ist Feminismus wirklich noch nötig? Ehrlich gesagt dachte ich bis Mitte 20 selbst, das Thema sei im Großen und Ganzen erledigt. Dann wurde ich Mutter. Und fing an zu sehen, wie viele Dinge noch immer im Argen liegen.

15 Gründe, warum Feminismus immer noch nötig ist

Also, ist es mit dem Feminismus langsam genug? Nein. Noch lange nicht. Dafür sind noch viel zu viele Baustellen offen, zum Beispiel diese:

1. Femizide

Statistisch gesehen wird alle drei Tage eine Frau* in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner, von einem Vater, Bruder, Nachbarn oder „Verehrer“ getötet. Wenn man die Tötungsversuche dazuzählt, kommt man sogar auf einen Fall pro Tag. Der Grund ist sehr häufig, dass ein Mann der Frau die Trennung nicht zugesteht und sie lieber tötet, als den Besitz an ihr aufzugeben. Oder dass die Frau irgendwie die „Ehre“ von wem auch immer beschmutzt hat. Oder dass sie die Avancen eines Mannes abgelehnt hat. In den Medien ist dann oft von einem „Familiendrama“ die Rede, statt klar zu benennen, dass es sich hier um Femizide handelt. Um Tötungen an Frauen, weil sie Frauen sind.

2. Frauenparkplätze

Hast du dich schon mal gefragt, warum es Frauenparkplätze gibt (die gerne als Privileg von Frauen bezeichnet werden)? Weil man als weiblich gelesene Person im dunklen Parkhaus automatisch in Gefahr ist, von Männern angegriffen zu werden. Statt dieses Problem gezielt anzugehen ist es aber viel einfacher, ein paar Plätze so einzurichten, dass Frauen leichter fliehen können.

3. Schutzmaßnahmen auf dem Heimweg

Aus dem gleichen Grund ist es für die meisten weiblich gelesenen Personen Normalität, im Dunkeln nicht alleine draußen zu sein oder sich zumindest zu schützen: immer die Aufmerksamkeit auf die Umgebung richten, den Schlüssel als Waffe in der Faust halten oder vielleicht sogar gleich Pfefferspray, weite Kleidung über den Ausgehklamotten tragen, mit jemandem telefonieren. Während Männer sich völlig unbeschwert überall bewegen können, sind Frauen ständig auf der Hut. Weil Männer eine Gefahr für sie sein können.

4. Weibliche Verantwortung für den Schutz vor Männern

Die Notwendigkeit, ihr Verhalten zu ändern, wird bei all diesen Dingen übrigens ganz selbstverständlich den Frauen und Mädchen zugeschoben. Sie sollen sich so anziehen, dass sie niemanden „reizen“, sollen auf sich aufpassen, am besten keinen Alkohol trinken, immer ihr Getränk im Blick behalten, nicht alleine unterwegs sein, … Es gibt eine Million Tipps für Frauen, wie sie sich vor Übergriffen schützen können. Aber ich kenne echt nur wenige Konzepte, die die Verantwortung der Täter in den Mittelpunkt stellt und ihnen abverlangt, halt einfach nicht übergriffig zu werden.

5. Not all men

Nicht alle Männer sind so!“ Diese Antwort hört man sehr häufig und sie stimmt natürlich. Bei Weitem nicht alle Männer sind gewalttätig oder werden sexuell übergriffig. Aber eben doch sehr viele. Sonst wäre es nicht möglich, dass 90 Prozent der weiblich gelesenen Personen schon einmal begrapscht wurden, jede dritte Frau eine Vergewaltigung erlebt hat und nahezu jede Frau Erfahrungen mit sexueller Belästigung hat. (Diese sehr aktuellen Zahlen gelten für Sachsen, aber es gibt keinen Grund zu glauben, dass sie in den anderen Bundesländern deutlich abweichen.)

6. Täter-Opfer-Umkehr

Angezeigt oder gar verurteilt wird übrigens nur ein sehr kleiner Teil dieser Übergriffe. Denn noch immer wird den Betroffenen viel zu häufig eine Mitschuld oder gar Lüge unterstellt. Während sie eigentlich Schutz und Unterstützung bräuchten, ernten sie sehr häufig Häme, Abwertung oder Unglaube. Sehr schön zu sehen war das zum Beispiel beim Skandal um Rammstein im Jahr 2023.

7. Sexualisierung weiblicher Körper

Frauen und weiblich gelesene Personen werden in unfassbarem Maße sexualisiert, selbst schon im Kindesalter. Sichtbar wird das zum Beispiel an Kinderkleidung, die schon bei Babymädchen enger und knapper sitzt, bauchfrei daherkommt oder imaginäre Brüste betont. Ich meine, ganz ehrlich: Wozu braucht ein Kleinkind ein Bikini-Oberteil oder eine super knappe Hose mit Rüschen am Po? Du möchtest mehr Beispiele? Dann werfe ich mal kurz den Begriff Funkenmariechen in den Raum. Deutlicher kann man die Sexualisierung von Mädchen nicht sichtbar machen. Im Erwachsenenalter geht das natürlich weiter, angefangen von Werbung mit nackten Frauen ohne Produktbezug über den Zwang, in bestimmten Sportarten unnötig entblößende Kleidung zu tragen bis hin zu den ständigen Belästigungen in Form von Cat Calling und Co.

8. Slut Shaming

Gleichzeitig werden Frauen* aber ständig für ihren Körper und ihre Sexualität abgewertet. Männer sollen sich austoben, Frauen sollen sich aufsparen. Wenn sie eine freizügige oder irgendwie vom empfundenen Standard abweichende Sexualität leben wollen, verlieren sie in der Anschauung vieler an Wert. Ein winziges sprachliches Beispiel dazu: Will man eine Frau beleidigen, nennt man sie „Hure“. Will man einen Mann beleidigen, nennt man ihn „Hurensohn“ und beleidigt damit wieder eine Frau. Für ihre Sexualität.

9. Gender Marketing

Ein Forscherlabor in Blau für Jungs, eine Kinderküche in Rosa für Mädchen. Chips „nur für Männer“ mit BBQ-Geschmack, Chips „nur für Mädels“ mit Creamy-Paprika-Geschmack. Dekor mit braven Haustieren für Mädchen, Dekor mit Superhelden, Dinos und Raubtieren für Jungs. Gender Marketing hat in den letzten 20 Jahren noch mal so richtig zugelegt. Und das verstärkt ohnehin vorhandene Rollenbildern, die dann wieder die Nachfrage erhöhen, die dann wieder die Rollenbilder verstärken. 

10. Pink Tax

Das Gender Marketing hat übrigens einen unangenehmen Sidekick namens Pink Tax. Mädchen und Frauen* sollen nicht nur spezielle Produkte kaufen, sondern diese sind auch noch deutlich teurer als die „männlichen“ Pendants. Ziemlich bekannt ist das bei Kosmetikprodukten wie Rasierschaum oder -klingen. Aber es gibt auch unzählige Beispiele von Spielsachen oder Alltagsgegenständen, bei denen das rosafarbene zufällig ein bisschen teurer ist als das identische blaue Produkt. Achtet mal drauf!

11. Mutterrolle und Care-Arbeit

Richtig hart kickt das Patriarchat übrigens dann, wenn man Mutter wird. Und das gleich auf so vielen Ebenen. Mütter haben angeblich Mutterinstinkte und können alles von der ersten Sekunde an, während Männern das leider, leider nicht in die Wiege gelegt ist. Weshalb lieber mal die Mütter alles machen sollen. Frauen werden sehr oft gefragt, wo denn ihre Kinder seien, wenn sie alleine unterwegs sind. Männer so gut wie nie. Die werden dagegen viel gelobt, wenn sie zum Beispiel mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen oder im gemeinsamen Haushalt „helfen“, während das natürlich ganz selbstverständliche Aufgaben der Frauen sind, für die man ja wohl nicht gelobt werden muss. Die Folge: Frauen verbringen eineinhalb Mal so viel Zeit mit der Sorge für Kinder, Haushalt und pflegebedürftige Angehörige wie Männer. Und diese Zeit fehlt bei der Erwerbsarbeit. Die man als Mutter (oder Frau* im gebärfähigen Alter) sowieso nicht mehr so leicht bekommt, während es für Männer, die Väter werden, kaum einen Unterschied gibt. Oder wurde schon jemals ein Mann im Vorstellungsgespräch gefragt, wie er die Betreuung der Kinder organisieren will, wenn die mal krank sind? 

12. Gender Pay Gap

Dabei kommen wir dann natürlich auch zum berühmten Gender Pay Gap. Frauen verdienen deutlich weniger Geld als Männer. Und nein, das hat bei Weitem nicht nur damit zu tun, dass sie weniger ehrgeizig wären oder schlechter verhandeln könnten. Bei diesem Thema spielen viele weitere Strukturen eine Rolle. Zum Beispiel die Tatsache, dass es von Frauen viel eher erwartet wird, nach der Geburt eines Kindes zu Hause zu bleiben oder in Teilzeit zu arbeiten. Oder die Tatsache, dass weiblich gelesenen Personen oft weniger Kompetenz zugesprochen wird als Männern. Oder das interessante Phänomen, dass Berufe, in denen mehr Frauen arbeiten, nach und nach schlechter bezahlt und schlechter angesehen sind.

13. Abtreibung als Straftat

Keine Kinder haben zu wollen ist übrigens auch nicht so einfach. Spätestens bei einer ungewollten Schwangerschaft. Abtreibungen sind in Deutschland immer noch ein Straftatbestand. Ja, eine Abtreibung wird unter bestimmten Umständen nicht bestraft. Aber es wird Schwangeren unheimlich schwer gemacht, sich überhaupt nur zu informieren, weil Ärzt:innen nicht mal auf ihre Homepages schreiben dürfen, ob und wie sie Abtreibungen vornehmen. Wenn es mit der Info geklappt hat, steht das verpflichtende Beratungsgespräch an, das nicht selten als einseitig und abwertend beschrieben wird. Und wenn eine Schwangere Pech hat, stehen vor der Beratungsstelle noch Abtreibungsgegner:innen, von denen sie in dieser Ausnahmesituation belästigt und beschimpft wird. Eines der häufigsten „Argumente“, die man in diesem Zusammenhang liest, ist übrigens: „Selbst schuld, soll sie halt nicht die Beine breit machen.“ Aber das hatten wir ja schon in Punkt 8. Auf Platz 2 der Liste abwertender Argumente: „Selbst schuld, wenn sie zu dumm zum Verhüten ist.“ Dass da irgendwie auch ein Mann beteiligt gewesen sein muss, ist dabei gerne mal irrelevant.

14. Risiken bei Autounfällen

Bei Autounfällen haben Frauen* ein deutlich höheres Verletzungsrisiko als Männer, weil – haltet euch fest – bis vor Kurzem ALLE Crash Test Dummies der männlichen Anatomie nachempfunden waren. Klingt vielleicht wie eine Kleinigkeit, aber es zeigt so deutlich, dass in den meisten Strukturen unserer Gesellschaft Frauen einfach nicht richtig mitgedacht sind.

15. Schlechtere medizinische Versorgung

Apropos Gesundheitsgefahren: Auch die medizinische Versorgung ist für Frauen oft schlechter als für Männer. Und auch das liegt vor allem daran, dass Forschung in allererster Linie an Männern stattfindet. Deutlich wird das an diesem Beispiel: Männer bekommen zwar häufiger einen Herzinfarkt, aber Frauen sterben häufiger daran, weil der Herzinfarkt bei ihnen seltener erkannt wird. Die „typischen“ Herzinfarkt-Symtome sind nämlich nur bei Männern typisch, bei Frauen treten andere Symptome auf. Und auch die Behandlung ist schwieriger: Bis 2005 wusste man zum Beispiel nicht, dass Aspirin zwar bei Männern einem Herzinfarkt vorbeugen kann, bei Frauen aber nicht. Das hatte man vorher einfach nicht untersucht. Neben dem Herzinfarkt gibt es noch unzählige weitere Beispiele für die schlechtere medizinische Versorgung von Frauen. Ihre Schmerzen werden zum Beispiel sehr häufig nicht so ernst genommen wie die von Männern und Symptome werden deutlich häufiger als psychische Probleme abgestempelt. Weil Frauen sind ja so emotional, ihr wisst schon.

Wenn all diese Probleme (und noch ein paar weitere) gelöst sind, dann können wir darüber sprechen, ob Feminismus unnötig ist. Aber so lange machen wir weiter.

Oh, und nur der Vollständigkeit halber: Du findest, dass auch Männer viele Probleme aufgrund ihres Geschlechts haben? Da stimme ich dir total zu! Das Patriarchat schadet nicht nur Frauen, sondern im Endeffekt allen. Wenn du dich dafür einsetzen möchtest, dass Männer bei Gewalterfahrungen oder psychischen Problemen leichter Hilfe finden, dass sie selbstverständlich Gefühle zeigen und leichter aus dem stereotypen Männerbild ausbrechen können, dann hast du mich an deiner Seite. Wenn du das Argument aber nur benutzen möchtest, um die Probleme von Frauen und weiblich gelesenen Personen kleinzureden, dann habe ich hier für dich den Begriff „Whataboutism“ gegoogelt.

14 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Da sind ich dir voll zu, liebe Birgit. Und um das noch konkret auszudrücken mit dem schlechtesten Verdienst: für alles muss Frau mehr arbeiten. Für alles was sie kauft hat sie länger als ein Mann gearbeitet und das mit muskulären Defiziten gegenüber einem Mann, natürlich nur in solchen Jobs. Es ist einfach unglaublich. Wir sind alle Menschen und es gibt einfach keinen Grund da Unterschiede zu machen. Und was die Betreuung der Kinder angeht, sollte sich in der Arbeitswelt etwas ändern. Es gibt Länder, da funktioniert das. Deutschland muss nicht das Rad neu erfinden.

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    • Ja, da muss sich wirklich noch einiges ändern. Danke für deinen Kommentar!

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  2. Liebe Birgit,

    leider stimme ich Dir in allen Punkten zu!

    Ich hoffe, dass immer mehr Menschen dafür sorgen, dass Feminismus irgendwann überflüssig ist.

    Ganz liebe Grüße
    Ulli

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    • Das hoffe ich auch! Heute bin ich ganz zuversichtlich 🙂

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    • Eine interessante Beschreibung, vielen Dank dafür! 🙂

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  3. Ein toller Beitrag, den ich eigentlich gar nicht lesen wollte, weil mich das Thema nervt. Aber dann hattest du mich und ich habe bis zum Ende gelesen. Klasse!

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    • Hallo Sabine,

      vielen Dank, das ist großartig 🙂 Mich nervt es auch total, aber es ist halt leider immer noch sehr wichtig.

      Liebe Grüße
      Birgit

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  4. Ein toller Artikel! Vielen Dank, dass du es mal so klar auf den Punkt bringst! 🙏

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    • Sehr gerne! Freut mich sehr, dass du den Text magst 🙂

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  5. Deine Gründe sind leider alle wahr – danke, dass du sie so übersichtlich zusammengefasst hast!
    Ich habe dieselbe Meinung ähnlich verbloggt:
    https://projekttext.com/weltfrauentag-2024-gender-pay-gap
    Und ich hoffe, dass bei den Themen Gendern und Gendergerechtigkeit und Feminismus das „Genervtsein“ vieler bald von der Akzeptanz und den entsprechenden Taten abgelöst wird.
    Viele Grüße von
    Nicole

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    • Hallo Nicole,

      danke für deinen Kommentar und den Link! Du bringst in deinem Artikel noch einige spannende weitere Aspekte mit ein. Ja, ich hoffe auch sehr, dass sich der Umgang mit diesen Themen mal irgendwann entspannt. Im Moment sieht es noch nicht so richtig danach aus.

      Liebe Grüße
      Birgit

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