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Sprachverfall: Geht unsere Sprache den Bach runter?

Bild eines Bachlaufs, dazu Schrift: Sprachverfall: Geht unsere Sprache den Bach runter?

Der Sprachverfall wird immer schlimmer, oder?

Mein Beitrag zu Nicole Isermanns Blogparade

Dass unsere Sprache „verhunzt“ würde (oder „verhunagelt“, wie es Uschi Glas vor Kurzem ausgedrückt hat), das liest man ja immer wieder. Im Bezug auf Jugendsprache, Anglizismen, Internet-Abkürzungen, Rechtschreibung, Business-Ausdrücke und natürlich in Bezug auf das Gendern ist vom Sprachverfall die Rede. Aber ist das so? Geht unsere schöne Sprache den Bach runter? Das fragt auch Journalistin Nicole Isermann in ihrer aktuellen Blogparade. Und sie will wissen, welche sprachlichen Ausdrücke und Phänomene uns so richtig auf die Nerven gehen. Obwohl ich mich im Bezug auf die Sprache von anderen für ziemlich entspannt halte, gibt es solche Ausdrücke natürlich auch bei mir. Die verrate ich dann gegen Ende des Beitrags. Denn vorher möchte ich genauer beantworten, wie ich das mit dem Niedergang der Sprache so sehe.

Gibt es den Sprachverfall denn nun?

Nein, gibt es nicht. Sprache verändert sich ständig, das ist ganz normal. Und dass manche Veränderungen uns nicht gefallen, ist auch normal. Und übrigens schon immer so gewesen. Dazu komme ich gleich beim Thema Jugendsprache noch.

Meiner Meinung nach gibt es zwei Gründe, warum Sprachveränderungen vielen Menschen als Verfall vorkommen:

  1. Es ist anders, als wir es als Kind gelernt haben. Und da wir in unserer Kindheit und Jugend die Welt zunächst als die einzig wahre und richtige kennenlernen, ist es gar nicht so einfach, sich dann umzugewöhnen. Wir sind so tief davon überzeugt, dass manche Dinge richtig sind, dass es emotional ganz schön schwierig sein kann, diese Sichtweise zu ändern oder überhaupt erst zu hinterfragen. Das kennt wohl jede:r in unterschiedlichen Ausprägungen und Lebensbereichen.
  2. Die Sprache ist Teil einer Gruppe, der wir nicht angehören. Klar kommt mir Jugendsprache manchmal komisch und ziemlich doof vor. Ich bin ja auch über 40 und damit nicht mal ansatzweise Zielgruppe dieser Ausdrücke. Das Gleiche gilt auch für viele weiteren Gruppensprachen. Wenn ich mit anderen Geocacher:innen über Multis, Labs, Finals oder Hasengrille spreche, klingt das in deinen Ohren wahrscheinlich ziemlich dämlich. Weil die Worte für dich keine oder eine andere Bedeutung haben als für mich. Sprache ist sehr stark gruppenabhängig, genau wie viele andere kulturelle Gewohnheiten. Und die wirken von außen eben anders als von innen.

So viel zur Theorie. Aber schauen wir uns ein paar beliebte Sprachverfalls-Themen genauer an.

Ist an Jugendsprache ein Sprachverfall abzuleiten?

Jugendsprache hat es schon immer gegeben. Ein Teil davon ist nur ein kurzer Trend und verschwindet, sobald die jeweilige Generation erwachsen ist. Ein anderer Teil geht in die Sprache über und wirkt irgendwann völlig normal und noch später sogar altbacken.

Super“ und „toll“ waren mal Teil der Jugendsprache und in der damals älteren Generation verpönt. Genau wie (noch etwas früher) „famos“ oder „fabelhaft“. Da diese Begriffe aber schon normaler Bestandteil der Sprache waren, als ich aufgewachsen bin, kommen sie mir nicht komisch vor. Nach Sprachverfall klingen sie schon gar nicht. Die Generation davor hat das sicher anders gesehen. „Geil“ und „cool“ gehören zu meiner Generation von Jugendsprache. Gerade beim Begriff „geil“ erinnere ich mich noch an viele Diskussionen und Empörungen. Die sind aber längst abgeflaut und „geil“ gehört (im richtigen Kontext) für mich zum ganz normalen Sprachgebrauch.

Jugendsprache ist dafür da, sich von den älteren Generationen abzugrenzen. Das ist schon immer so gewesen und ganz normal. Uns kommen die Begriffe der heutigen Jugend nicht dämlicher oder empörender vor als unseren Eltern unsere eigenen. Vom Niedergang der Sprache kann hier also keine Rede sein.

Hier findest du übrigens eine (schon ältere, aber trotzdem noch interessante) Tabelle zur Jugendsprache in den letzten 150 Jahren.

Wie schlimm sind Anglizismen?

Diese Frage musste ich schon in den 90er-Jahren in einer Erörterung im Deutsch-Leistungskurs beantworten. Die Diskussion ist also alles andere als neu. Natürlich habe ich mich gegen Anglizismen ausgesprochen, ich bin ja nicht doof und wusste, was unser stockkonservativer, kurz vor der Rente stehende Lehrer lesen wollte. Schon damals fand ich die Diskussion darum aber ziemlich albern und gestrig. Daran hat sich auch 30 Jahre später nichts geändert.

Anglizismen (und Wörter, die aus anderen Sprachen in unsere eingehen) sind einfach ein Zeichen dafür, dass die Welt „kleiner“ wird. Dass wir auf unterschiedlichen Wegen viel mehr Kontakt zu anderen Sprachen und Menschen haben als früher. Das geht schon beim Lernen der Sprache los: In meiner Elterngeneration war es noch gar nicht selbstverständlich, Englisch zu lernen. Ich habe Englisch ab der 7. Klasse gelernt (davor Latein). Heute ist es völlig normal, dass Kinder schon in der Grundschule oder sogar früher Englisch lernen. Alleine deshalb ist es logisch, dass englische Ausdrücke viel leichter Einzug in die deutsche Sprache halten.

Dazu kommt: Wir haben dank des Internets jederzeit Zugriff auf internationale Medien. Das betrifft die New York Times genauso wie Science-Fiction-Serien in Originalsprache oder die unzähligen Journalist:innen, Kreativen, Komiker:innen, Influencer:innen und Aktivist:innen, denen wir in den sozialen Medien folgen können. Ob in der Unterhaltungsbranche, in der Berufswelt oder im Privaten: Wir haben viel mehr Kontakt zu englischsprachigen Personen und Inhalten. Da ist es doch kein Wunder, dass neue Begriffe nicht urdeutsch klingen, sondern ans Englische angelehnt sind. Ich sehe nicht, was daran schlimm sein soll. Ein Sprachverfall ist es schon gar nicht.

Fremdwörter in der Sprache sind übrigens kein neues Phänomen. Da darf man gerne noch viel weiter zurückgehen als zu meiner Erörterung im Jahr 1998. Der Sprachforscher Joachim Heinrich Campe hat es sich schon im 19. Jahrhundert zur Aufgabe gemacht, die deutsche Sprache von Fremdwörtern zu säubern. Er wollte „Dörrleiche“ statt Mumie einführen, „Zwangsgläubiger“ statt Katholik und „Schalksernst“ statt Ironie. Schaut euch mal den Wikipedia-Artikel dazu an, es ist wirklich urkomisch.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass unsere Sprache durch Anglizismen oder Wörtern aus anderen Sprachen nichts verliert. Ganz im Gegenteil: Sie wird dadurch bereichert. Dieses Verlangen nach einem „Reinhalten“ der deutschen Sprache ist mir sehr fremd und auch ein wenig verdächtig.

Verhunzt das Gendern die deutsche Sprache?

Wer hier schon länger liest, weiß natürlich, dass ich das nicht so sehe. Geschlechtergerechte Sprache ist für mich ein Teil der normalen Sprachveränderung. Noch dazu einer, den ich für sehr sinnvoll halte, auch wenn die bisherigen Formen noch nicht reibungslos funktionieren. Das Getöse um die angebliche Unlesbarkeit von Texten oder den Niedergang von Sprache und Kultur durch Gendersternchen finde ich jedenfalls nur noch albern.

Warum ich selbst geschlechtergerechte Sprache im Blog verwende, habe ich hier schon einmal beschrieben.

Und hier gehe ich auf Alicia Joes Video gegen das Gendern ein, das vor einer Weile viral gegangen ist.

Diese 5 Ausdrücke und Sprachformen gehen mir auf die Nerven

Ich bin also überhaupt nicht der Meinung, dass es einen Sprachverfall gäbe. Trotzdem gefallen mir natürlich nicht alle Sprachauswüchse. Da gibt es einige, die ich wirklich furchtbar finde. Zum Beispiel diese:

  • die Aussprache der Vorsilbe „psycho“ mit „ts“, also „Tsychologie“, „Tsychiater“ oder „tsychisch“. Gruselig!
  • übertrieben flauschige Euphemismen, besonders rund um Tod und Sterben. So was wie „entschlafen“ oder „von uns gehen“. Ich bin gerade bei diesem Thema eine Freundin klarer Worte.
  • eine Reihe von Abkürzungen. Ganz oben auf meiner Gruselliste: „GöGa“ (für Göttergatte), „Schwiemu“ (für Schwiegermutter), „Kindi“ (für Kindergarten), „SchniPo“ (für Schnitzel mit Pommes), „GaLiGrü“ (für ganz liebe Grüße) und „SS“ (je nach Kontext für Schwangerschaft oder Schülerinnen und Schüler).
  • absichtliches Bestehen auf alter Rechtschreibung
  • Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“

Interessanterweise sind das alles keine besonders neuen Entwicklungen, sondern eher Dinge, die ich mit älteren Generationen und ewig Gestrigen verbinde. Und was mache ich dann, wenn ich so was höre oder lese? Nichts. Weil andere Menschen so sprechen und schreiben dürfen, wie sie wollen. Nur beim letzten Punkt, da ist manchmal Gegenrede nötig. Aber das hat wiederum nichts mit einem Niedergang der Sprache zu tun.

15 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich danke dir für den „Göttergatten“ – diese Bezeichnung hat mir einen gruseligen Schauer über den Rücken geschenkt. 🙂 Die Abkürzung kannte ich gar nicht, aber Göttergatte oder Göttergattin an sich ist schon schlimm. Im Englischen „hasse“ ich übrigens „hubby“ für „husband“; das hat denselben Effekt auf mich, wie GöGa.
    Danke auch für den Link – oder doch eher: Verbindung – zum Wikipedia-Artikel. Jetzt weiß ich auch, dass ich öfters mal eine Zwischenstille einlegen muss.

    Antworten

    • Oh ja, „hubby“ ist auch unschön. Klingt in meinen Ohren aber immerhin noch niedlich, während Göttergatte einfach nur eklig klingt. Aber so was ist ja sehr individuell 😀
      Viele Grüße
      Birgit

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  2. Liebe Birgit,
    da ist dir ein sehr fundierter Beitrag mit vielen passenden Beispielen gelungen. Und wie schön, dass du der Veränderung der Sprache gegenüber so aufgeschlossen bist!
    Meine beiden neuen Lieblingswörter sind ab sofort Dörrleiche und Zwangsgläubiger – herrlich! Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht …
    Die Abkürzungen sind ja gruselig, werden aber in meinem Umfeld glücklicherweise nicht benutzt.
    Danke für diesen großartigen Beitrag und die weiterführenden Links!
    Liebe Grüße
    Nicole

    Antworten

    • Hallo Nicole,
      freut mich, dass dir der Beitrag gefällt 🙂 Und ja, das sind auch für mich zwei großartige und sehr absurde Wörter 😀
      Viele Grüße
      Birgit

      Antworten

  3. Liebe Birgit,
    Danke für diesen deinen wunderbaren Artikel. Deine letzten fünf Punkte teile ich uneingeschränkt, möchte aber noch die Hausis (Hausaufgaben) und – ich mag es kaum schreiben – das Resto (Restaurant) ergänzen. Von Blanke statt Blankenese bekomme ich grüne Pickel, und mein neues Lieblingswort ist „Dunstgrübchen“ für Pore, herrlich!
    Liebe Grüße, Silke

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    • Oh ja, Hausis! *grusel*. Freut mich sehr, dass dir der Artikel gefällt 🙂

      Viele Grüße
      Birgit

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  4. „Tsychologie“ ?
    Hab ich noch nie gehört. Ist das ein kultureller Sprachfehler wie das süddeutsche „Kina“ für China?

    Liebe Grüße an Deinen HElGa (Halbelfengatten)

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    • Helga! Ich schmeiß mich weg 😀
      Ich höre die Tsychologie ziemlich oft. Ich nehme stark an, dass das eine Dialektsache ist, aber ich weiß nicht, aus welcher Region. An sich mag ich dialektale Färbungen ja, wenn sie nicht zu stark sind. Aber das stellt mir immer die Nackenhaare auf.

      Antworten

  5. Liebe Birgit,
    vielen Dank für diesen tollen Artikel, ich habe bei all deinen Ausführungen nur zustimmend nicken können!
    Eine sprachliche Floskel, die mich in den letzten Jahren tatsächlich sehr nervt:
    Es wird ein Absatz, manchmal nur ein einziger Satz von sich gegeben und man kommentiert das selbst Gesagte nach einer kurzen Atempause mit einem „Genau!“
    Mir wird dabei immer das Gefühl vermittelt, der/die Redende mache sich erst im Nachhinein noch mal richtig Gedanken über die Äußerung und gibt sich selbst dann doch noch recht. Das wird bei Vorträgen von Menschen, die dieses GENAU sehr häufig verwenden, absolut anstrengend und es verleitet mich dazu, eher die Häufigkeit dieses Wortes mitzuzählen, als noch weiter dem Inhalt genau zu folgen. Das ist sicher nicht fair, aber manchmal tatsächlich nicht zu verhindern…
    Liebe Grüße
    Sandra

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    • Liebe Sandra,
      danke für deinen Kommentar und das Lob, es freut mich sehr, dass dir der Text gefällt 🙂
      Dieses „Genau“ finde ich einen interessanten Aspekt. Das ist mir so noch gar nicht aufgefallen, aber jetzt, wo du es sagst, stimme ich dir zu, das würde mich auch irritieren 😀 Wahrscheinlich geht es da eher darum, die eigenen Gedanken noch mal zu sortieren. Aber ich kann deine Assoziation sehr gut nachempfinden. Solche Füllwörter sind generell ganz schön nervig, vor allem wenn sie massenhaft auftreten und man Personen über längere Zeit zuhören muss.
      Viele Grüße
      Birgit

      Antworten

  6. Hallo Birgit,
    das lesen deines Artikels hat wirklich Spaß gemacht. Was mich annähernd in den Wahnsinn treibt, ist folgendes… Sätze werden einfach nicht zu Ende gesprochen. Dabei kann das letzte Wort entscheidend sein. Ich hab bestimmt schon bei dir darüber gejammert. Ein Beispiel aus meinem Alltag im Kindergarten: Kind (und zwar fast jedes): „Darf ich eine Schere?“ Ich: „Da fehlt noch ein Wort.“ Kind: „Darf ich eine Schere bitte.“ Ich: „Schön das du Bitte sagst, aber das meine ich gar nicht.“ Meistens schauen mich die Kinder dann verwirrt an bis ich sage: „Haben… Darf ich eine Schere haben?“
    Trotz fast täglicher Wiederholung ändert sich kaum was. Bin ich da zu kleinlich? Ich weiß ja, was das Kind möchte… Aber irgendwie hänge ich an ganzen Sätzen. Aber hey, ich bin halt alt.
    Gruß Regina

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    • Hallo Regina 🙂 Ich glaube, das ist einer der Klassiker unter Pädagog:innen 😀 Zu kleinlich? Keine Ahnung. So was ist ja sehr individuell. Es gehört ja zu euren Aufgaben, Kindern richtiges Sprechen beizubringen. Aber das scheint wirklich ein besonders schwieriger Punkt für viele zu sein 😀 Liebe Grüße, Birgit

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  7. Hallo Birgit,

    danke für Deine ausführliche Sicht, deren ich mich in meinem Blogparaden-Beitrag anschließe.
    Mir fiel beim Lesen Deiner Ausführungen zum Übernehmen von englischen Ausdrücken ein, dass es schon viel früher zur Einbürgerung von Begriffen einer anderen Sprache gab – nämlich dem Französischen. Wir greifen zum Portemonnaie, um Accessoires zu bezahlen, laufen mit einem Parapluie übers Trottoir, gehen gern in Gourmet-Restaurants und freuen uns über ein Newsletter-Abonnement.
    Geschmunzelt habe ich über unser beider Sprachwerdegang: erst Latein (Klasse 5), dann Englisch (Klasse 7) und später kam bei mir noch Französisch (Klasse 9) dazu.

    Herzlichen Gruß aus Limburg
    Manuela

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    • Hallo Manuela,

      ja, bei mir war es auch Französisch in der neunten Klasse 😀 Die Alternative wäre Altgriechisch gewesen.

      Liebe Grüße
      Birgit

      Antworten

  8. Liebe Birgit,
    deine Punkte 1 und 2 sind so wichtig! Und ich bin gespannt auf deinen Artikel über Alicias Video zum Gendern. Das war mir zum ansehen zu lang. Oder ich war dann doch nicht neugierig genug 😉
    Liebe Grüße
    Angela

    Antworten

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