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Spaziergang auf dem Friedhof

Spaziergang auf dem Friedhof

Spaziergang auf dem Nürnberger Westfriedhof

Diese Woche hatte ich in Nürnberg eine Stunde Zeit zu überbrücken. Ich habe sie auf der größten Grünfläche in der Nähe verbracht: dem Westfriedhof. Dass ich an einem Spaziergang auf dem Friedhof mal Freude haben würde, hätte ich früher wirklich nicht gedacht. Aber heute finde ich so große, alte Friedhöfe einfach wunderschön. Ich erkläre euch, warum ich sie so mag, und zeige euch das wohl schönste Grab der Welt.

Vom Horror zur Entspannung

Der erste Todesfall in meiner unmittelbaren Umgebung ereignete sich, als ich 13 war. Damals starb mein Opa an einem Herzinfarkt. Drei Monate später, am Tag vor meinem 14. Geburtstag, folgte ihm meine schwer demente Oma nach. Davor hatte mich das Thema Tod nicht besonders betroffen. Vorgeprägt war mein Bild von Toten und von Friedhöfen allerdings schon. Durch Stephen King. Seit einem Dreivierteljahr las ich nichts anderes mehr als seine Horrorromane, die mir ekelhafte Bilder in den Kopf pflanzten. Ein Teil davon wohnt da noch immer. Zum Beispiel das aus ES, in dem die Kinder in der Kanalisation herumlaufen, um dort dem Grauen ein Ende zu bereiten, und im Dunkeln auf glibberige Leichenteile treten.

Von diesen Bildern war meine Vorstellung von Friedhöfen und Leichen geprägt. Und jetzt verknüpfte sich das auf furchtbare Weise mit meinen Großeltern. Wenn ich auf dem Friedhof sein musste (und ich versuchte wirklich, das zu vermeiden), konnte ich nur an Verwesung denken. Ich versuchte deshalb, Friedhöfe so weit wie möglich zu meiden.

Inzwischen ist das völlig anders geworden. Dafür gab es keinen bestimmten Anlass, es war ein Prozess. Ich habe ein paar Jahre später aufgehört, Stephen King zu lesen. Ich habe mich mit dem Tod beschäftigt und meine Bilder von damals durch realistischere ersetzt. Naja, und ich bin eben auch ein bisschen älter geworden. Heute gehe ich gerne auf Friedhöfen spazieren. Je größer und älter, desto besser.

Friedhöfe sind Natur

Gerade in der Stadt geht es auf Friedhöfen viel lebendiger zu, als man denkt. Wer das nicht glaubt, kann sich ja mal an einem sonnigen Tag an ein frisches Grab mit vielen Blumengestecken stellen. Für Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten sind Friedhöfe mit ihren vielen Blumen eine wertvolle Nahrungsquelle. Ich habe gestern sogar ein Wildbienennest im Efeu eines älteren Grabes gesehen.

Aber auch größere Tiere leben hier. Eichhörnchen zum Beispiel. Dieser niedliche kleine Kerl war richtig zutraulich und kam mit seiner Nuss ganz nah an mich heran.

Eichhörnchen

Eichhörnchen, Insekten und Co: Friedhöfe sind Lebensraum

Laut Nabu leben auf Friedhöfen jede Menge Pflanzen und Tiere, die teilweise sogar zu den gefährdeten Arten gehören. Hier findest du einen spannenden Artikel über den seltenen Efeu-Kugelglanzkäfer, über Fledermäuse und Waldvögel mitten in der Großstadt. Kein Wunder: Auf Friedhöfen werden jede Menge Blumen gepflanzt, es gibt alte Baumbestände, kaum Fressfeinde und jede Menge Platz. Der Westfriedhof in Nürnberg ist 39 Hektar groß und bietet damit jede Menge wertvollen Lebensraum in der Großstadt.

Friedhöfe sind Geschichte

Ein Stück weit ist ein alter Friedhof immer auch ein Blick in die Vergangenheit. Manche Gräber in Nürnberg sind 100 Jahre alt und älter. Diese wunderschöne Sphinx steht auf dem Grab eines Menschen, der 1922 gestorben ist.

Grabmal Sphinx

Was den Menschen in diesem 100 Jahre alten Grab wohl ausgezeichnet hat?

Ich lese gerne die alten Namen auf den Grabsteinen und rechne aus, wie alt die Menschen geworden sind.

Auch die Struktur des Friedhofs selbst erzählt Geschichte. Der Westfriedhof wurde 1880 eröffnet, damals noch am unbebauten Stadtrand. Er wurde an den Stil eines englischen Landschaftsgartens angelehnt und davon sieht man auch heute noch einiges. Plätze, Brunnen, alte Statuen, gewundene Wege und viele alte Bäume prägen das Bild. Eine einerseits geplante und andererseits gewachsene Struktur, die immer wieder an die aktuellen Gegebenheiten angepasst wurde. Rund um einen Brunnen findet sich zum Beispiel heute eine Wiese, auf der anonyme Bestattungen durchgeführt werden. In verschiedene Wände wurden Nischen für Urnen eingelassen.

Friedhöfe sind Ruhe

Ich staune immer wieder, wie viel Ruhe auf einem Friedhof herrschen kann. Man tritt mitten aus dem Großstadttrubel durch ein Tor, geht ein paar Schritte und befindet sich in einer ganz anderen, viel ruhigeren Welt.

Zum einen schlucken natürlich Mauern und Bäume viel Lärm. Zum anderen gibt aber auch die Atmosphäre eines Friedhofs die Ruhe vor. Hier geht man automatisch ein bisschen langsamer, wird aufmerksamer und leiser. Hier wird nicht getobt, gerannt, geschrien. Überhaupt sind hier nur sehr wenige Menschen an diesem Montagmittag. Schön ist das. Entschleunigend, leise, wohltuend.

Friedhöfe sind Kunst

Wie sehr Friedhöfe die Gestaltung der Gräber vorgeben, ist sehr unterschiedlich. Gerade auf Dörfern sind die Vorgaben hier manchmal sehr eng, sodass sich die Gräber kaum unterscheiden. Auf alten Großstadtfriedhöfen ist das oft anders. Auf dem Nürnberger Westfriedhof scheint man es mit den Gestaltungsmöglichkeiten recht locker zu gehen. Wie ich im Nachhinein festgestellt habe, gibt es sogar bestimmte Bereiche, die fast ganz ohne Gestaltungsvorschriften auskommen. Da werde ich auf jeden Fall bei meinem nächsten Besuch vorbeischauen. Ich erwarte mir halbwegs spektakuläre Ideen, denn das, was ich in den „normalen“ Bereichen an einigen Stellen gesehen habe, ist schon großartig.

Da gibt es zum Beispiel ein Kindergrab, auf dem ein Metallstab mit einem bunten Vogelhäuschen steht.

An einem Grabstein klebt die Familie seit Jahrzehnten immer wieder neue Fotos an, sodass man die Entwicklung der Kinder sehen kann.

Manche Gräber sind überbordend mit Luftballons, Figürchen und Kunstblumen geschmückt. Bei anderen steht ein einzelnes wohl gewähltes Element im Vordergrund.

Klar, die meisten Gräber sind doch eher durchschnittlich. Aber mit einem neugierigen Blick findet man an an sehr vielen Stellen Besonderes, Schönes, Seltsames, Individuelles.

Und dann kam ich am wohl schönsten Grab der Welt vorbei:

Grab von Gerd Huke

Ich finde: Der Musiker Gerd Huke hat das wahrscheinlich schönste Grab der Welt.

Auf dem Grab steht eine Holzskulptur, die den Verstorbenen auf einer Bank zeigt. Man kann sich hinsetzen und mit ihm Zwiesprache halten. Auf der Bank sind außerdem signierte CD-Cover mit Grüßen angebracht. Gerd Huke, der hier begraben ist, war nämlich Blues-Musiker und Festival-Organisator. Falls ihr auch mal vorbeischauen wollt: Ihr könnt Gerd Huke auf dem Nürnberger Westfriedhof besuchen, im Areal 84. Grüßt ihn von mir!

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