Im Februar 2024 gab es eine Neuausgabe des Kinderbuchs „Jim Knopf“: Das Cover wurde leicht verändert, um Jim Knopf „echter“ darzustellen und rassistische Überzeichnungen herauszunehmen. Außerdem wurde im Text das N-Wort ersetzt.
Auch andere Kinderbücher haben in den letzten Jahren ähnlich sanfte Sprachveränderungen bekommen: In Pippi Langstrumpf wurde der N-König zum Südseekönig und auch in „Die kleine Hexe“ wurde das N-Wort entfernt.
Wenn man die Kritik an diesen Veränderungen liest, ist von Zensur die Rede, von verfälschten Kulturgütern und davon, dass man heutzutage ja gar nichts mehr dürfe. Da ist das Weinen groß über angeblich verlorene Kindheiten, nur weil in einem Buch ein paar Wörter korrigiert werden.
Und weil man sich ja nichts verbieten lassen will, werden Menschen wie Heino von obskuren Sprachvereinen als heldenhafte Sprachwahrer gekürt, für solche Aussagen: „Leute, die so was wollen, denen hat man ins Gehirn geschissen.“ „So was“ ist in diesem Fall das Gendern. Joa. Wie gut, dass er sich auf sprachlich so hohem Niveau dagegen äußert, nicht wahr?
Ich bin überzeugt: Kinderbücher wie Jim Knopf müssen angepasst werden, wenn sie weiterhin lesbar sein sollen. Warum ich das so sehe, davon handelt dieser Blogbeitrag.
Dieser Text ist Teil der Blogparade von Nicole Isermann: „Streifall Sprache: Dynamischer Teil der Geschichte oder Objekt der Zensur?“
Muss Kultur unberührt bleiben?
Kunst und Kultur – und dazu gehören auch Kinderbücher – sind immer Zeichen der Zeit, in der sie entstanden sind. Themen, sprachliche oder bildliche Ausdrücke, Darstellungen von gesellschaftlichen Realitäten: All das ist ganz selbstverständlich von den Werten und Gewohnheiten der Entstehungszeit geprägt.
Die meisten Kunstwerke und Kulturgüter gehen dann folgenden Weg: Sie haben (hoffentlich) in ihrer Zeit eine gewisse Bedeutung und wirken (wenn es richtig gut läuft) noch eine Weile nach. Aber irgendwann verlieren sie an Bedeutung, weil sie nicht mehr in die Zeit passen und dadurch einen Teil ihrer Botschaften verlieren. Ganz wenige literarische Werke schaffen es dann immerhin noch in den Schulunterricht, aber die meisten verschwinden einfach.
Und ganz ehrlich: Bei den meisten Büchern, Hörspielen etc. ist das auch kein besonderer Verlust. Ich habe vor einer Weile den Fehler gemacht, alte Geschichtenbücher aus meiner Kindheit noch einmal zu lesen. Die meisten sind so schlecht gealtert, dass ich sie heute auf gar keinen Fall mehr einem Kind vorlesen würde, obwohl ich sie als Kind geliebt habe. Schwarze Pädagogik, gruselige Geschlechterbilder, süßlich-moralischer Unterton – nichts, hinter dem ich heute noch stehen könnte. Den gleichen Fehler habe ich mit alten TKKG- und Jan-Tenner-Hörspielen gemacht. Sie wirken mit ihren sexistischen und gewaltverherrlichenden Inhalten komplett aus der Zeit gefallen und entsprechen nicht mal mehr ansatzweise den Werten, den ich Kindern im 21. Jahrhundert weitergeben möchte.
Wenn man will, dass Geschichten über längere Zeit aktuell bleiben, sind manchmal kleine Anpassungen nötig. Das ist zum Beispiel den drei Fragezeichen in ihren neuen Folgen sehr gut gelungen, TKKG dagegen sehr schlecht. Aber ich schweife ab, zurück zu Jim Knopf:
Einige Kinderbücher funktionieren auch nach langer Zeit noch ziemlich gut. Jim Knopf ist ein Beispiel dafür. Die leichten Anpassungen sorgen dafür, dass das auch noch möglichst lange so bleibt. Denn das N-Wort verschwindet aus gutem Grund immer mehr aus dem Sprachgebrauch. All diejenigen, die das Wort gar nicht erst an ihre Kinder weitergeben wollen, haben nun trotzdem die Möglichkeit, ihnen Jim Knopf vorzulesen. Und das verlängert die Bedeutung der Geschichte beträchtlich.
Reicht nicht eine Einordnung im Vorwort?
Könnte man nicht einfach die Texte unverändert stehen lassen und in einem Vorwort bestimmte Begriffe historisch einordnen und erklären? Diese Option wird häufig gefordert, aber bei Kinderbüchern reicht das definitiv nicht. Das wird schnell klar, wenn man sich die Alltagstauglichkeit solcher Vorwörter anschaut: Wann hast du zum letzten Mal ein Vorwort mit einer theoretischen Einordnung einer Geschichte durchgelesen? Eben. Und jetzt stell dir vor, du wärst 12, 8 oder 6 Jahre alt.
Ein erklärendes Vor- oder Nachwort kann theoretisch für Eltern eine Bedeutung haben. Sie können dann entscheiden, ob sie zum Beispiel das N-Wort laut vorlesen oder beim Lesen ersetzen wollen. Oder sie könnten auf diese Weise inspiriert werden, mit ihren Kindern über das N-Wort zu sprechen. Aber in der Realität wird das kaum einen Unterschied machen. Realistisch betrachtet liest man die Geschichte so vor, wie sie da steht, ohne kurz vor dem Einschlafen eine sprachlich-politische Diskussion über Rassismus vom Zaun zu brechen.
Davon abgesehen geht es gerade beim N-Wort darum, es gar nicht mehr zu reproduzieren. Deshalb schreiben oder sprechen es viele Menschen gar nicht mehr aus, sondern nennen es nur noch das N-Wort. Es wird als so beleidigend und rassistisch empfunden, dass es möglichst ganz aus dem Sprachgebrauch verschwinden sollte. Kommt es in Kindergeschichten vor, gibt man es jedoch an die nächste Generation weiter, Einordnung hin oder her.
Wenn es also eine Einordnung sein soll, dann so: Der Text des Buches wird geändert und kritische Begriffe entfernt. In einem Vor- oder Nachwort kann dann erklärt werden, was geändert wurde und warum. So reproduziert man Begriffe wie das N-Wort nicht weiter, gibt aber der historischen Bedeutung Raum.
Was wollten die Autor:innen?
Man könne doch nicht einfach die Werke von Autor:innen verändern, lautet ein weiteres häufiges Argument. Sie hätten ihre Geschichte schließlich genau so geschrieben und würden sie nicht anders haben wollen.
Dem möchte ich entschieden widersprechen.
Autor:innen sind ebenfalls Kinder ihrer Zeit und verwenden Begriffe so, wie sie von ihren Leser:innen verstanden werden. Hatten Astrid Lindgren oder Michael Ende bei ihrer Wortwahl im Sinn, sich rassistisch zu äußern? Ganz sicher nicht. Als ihre Bücher entstanden sind, wurde das von den meisten Leser:innen auch nicht so verstanden. Die Wortbedeutung des N-Worts und ähnlicher Begriffe hat sich aber seitdem deutlich verändert. Und heute klingt es definitiv rassistisch, wenn jemand unbedacht oder gar absichtlich das N-Wort verwendet.
Indem man also aus dem N-König einen Südseekönig macht, ändert man die Aussage nicht. Sondern man passt sie wieder dem an, wie sie ursprünglich gemeint war: neutral, kindgerecht und rassistisch unverdächtig.
Im Fall von Jim Knopf wurden die Änderungen übrigens mit den Erb:innen besprochen und von ihnen abgesegnet. Michael Ende selbst kann man nicht mehr fragen, aber seine Nachkommen sind der Meinung, die Änderungen wären in seinem Sinne. Ich gehe davon aus, dass Ingo und Sabine aus dem Internet es nicht besser wissen als sie.
Änderungen zerstören eure Kindheit? Heult leiser!
Weibliche Ghostbusters, eine Schwarze Arielle, sprachliche Anpassungen in Kinderbüchern, … Immer dann, wenn es an „alten“ Franchises Veränderungen gibt, ist das Geheule über verlorene Kindheiten groß.
Ich finde das absurd und auch ein bisschen ekelhaft. Dieses über-nostalgische „Argument“ wird nämlich vor allem dann aus der Tasche gezogen, wenn die Veränderungen Diversität vergrößern oder menschenfeindliche Elemente reduzieren sollen. Wie kommen die Ingos und Sabines der Welt auf den Gedanken, dass ihr höchstpersönlicher, nostalgisch geprägter Wunsch nach Unveränderlichkeit wichtiger wäre als das?
Davon abgesehen verschwinden die Kindheitserinnerungen ja nicht. Niemand kommt und reißt euch die alten Arielle-DVDs oder Jim-Knopf-Bücher aus den Regalen. Wenn ihr entscheidet, euren Kindern genau diese alten Medien zu zeigen, dann könnt ihr das doch einfach tun. Sie sind hunderttausendfach im Umlauf und werden das auch bleiben. Es gibt jetzt einfach nur eine zusätzliche neue Variante, die vielen Menschen wichtig ist.
Fazit: Kinderbücher müssen sanft angepasst werden, um ihre Bedeutung nicht zu verlieren
Ich bin überzeugt davon, dass sensible sprachliche Anpassungen alten Kinderbüchern nicht schaden, sondern sie im Gegenteil noch eine Weile verfügbar halten. Gerade diese Änderungen sorgen dafür, dass die alten, liebgewonnenen Geschichten guten Gewissens an die nächste Generation weitergegeben werden können. So bleibt der Zauber von Jim Knopf, Pippi Langstrumpf und der Kleinen Hexe erhalten, ohne unnötige Rassismen weiterzutransportieren. In meinen Augen ist das ein Vorteil für alle.

Guten Abend,
ich finde Ihren Text sehr interessant und diskutabel, bin aber in wesentlichen Punkten anderer Meinung. Warum sollte ich N-Wort statt Neger sagen, wenn ich letzteres mein ganzes Leben nicht mit rassistischem Unterton verwendet habe? Das liegt übrigens einfach daran, dass meine Eltern niemals ein abfälliges Wort über Angehörige anderer Völker gebraucht haben, ein glücklicher Zufall. Ich würde mich ja gerade der von Ihnen unterstellten heutigen, grundsätzlich rassistischen Verwendung dieses Wortes anpassen oder sogar unterordnen, würde ich es meiden. „Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.“ Was Kinderbücher angeht – was hindert die Vorlesenden daran, Wörter zu erklären, z. B. „So wurden früher Menschen mit schwarzer Haut genannt. Sie sind nicht besser oder schlechter als wir“ o. ä. Das gäbe den Kindern Argumentationshilfen an die Hand, denn früher oder später werden sie doch damit konfrontiert. Im Gegensatz dazu wären sie in solchem Fall ohne Erklärung hilflos. Weshalb ich übrigens auch ein Gegner von „geschützten Räumen“ bin. Man muss alles erklären können, und je früher desto besser.
Ich verstehe auch nicht, weshalb Sie meinen, dass Kunstwerke mit der Zeit ihre Bedeutung verlieren würden. Wirkliche Kunst, auch literarische Werke, haben aus allen Zeiten etwas zu sagen. Ich weiß nicht, was Sie unter Kunst, gerade auch Literatur, verstehen – für mich stellt sie eine Verbindung zu den Gefühlen und Gedanken aller Menschen aller Zeiten her.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Dreke
Die Frage ist doch eher die: Wenn der größte Teil der so bezeichneten Menschen (und noch sehr viele weitere) den Begriff als beleidigend und respektlos empfinden, warum sollte dann jemand darauf bestehen, der nicht beleidigend und respektlos sein möchte? Ich weiß, dass das N-Wort über Jahrzehnte hinweg von sehr vielen Menschen völlig neutral verwendet wurde. Trotzdem stammt er aus einer Zeit massivster Unterdrückung und wird mehr und mehr damit verbunden. Sprache verändert sich und dieser Begriff ist schon sehr lange nicht mehr neutral, wenn er es jemals wirklich war. Ich empfinde es als selbstverständlichen Akt der Höflichkeit und des Respekts, ihn dann nicht mehr zu verwenden und auch nicht an Kinder weiterzugeben.
Als nicht-Angehörige*r einer marginalisierten Gruppe können wir schlicht nicht darüber entscheiden, dass es „doch ok ist“ diskriminierende Begriffe zu verwenden, nur weil wir persönlich sie vielleicht nicht so meinen. Diese Entscheidung steht uns nicht zu. Ebensowenig wie zu behaupten, es gäbe doch Rassismus mehr oder wenn privilegierte Menschen ihre Privilegien leugnen, weil sie diese gar nicht erkennen.
Das mag zunächst nicht böse gemeint sein. Aber darauf zu bestehen, obwohl man darauf hingewiesen wird und sich mit der Thematik auseinandersetzt, halte ich für problematisch.
Ja, genau so sehe ich das auch! Leider haben immer noch sehr viel Menschen Schwierigkeiten mit diesem einfachen Zusammenhang. Liebe Grüße, Birgit