Suche
Suche Menü

Schule anders denken – das müsste sich ändern

Schule anders denken - das müsste sich ändern (Titelbild zum Blogartikel mit dieser Überschrift)Das musst du können, du hast schließlich nicht immer einen Taschenrechner dabei!“ Dieser Lehrer*innenspruch war so lange einleuchtend, bis man irgendwann eben doch immer seinen Taschenrechner dabei hatte. Hat das irgendwas geändert? Nein.

Und beim Taschenrechner hört es ja nicht auf: Inzwischen können wir mit einem Klick jedes noch so absurde Wissen ergoogeln und mit KI fast jede Aufgabe lösen, die die Schule von ihren Schüler*innen erwartet.

Bevor ich mit dem Schreiben begonnen habe, habe ich Grundschullehramt studiert. Ich glaube, ich wäre auch wirklich eine gute Lehrerin geworden. Aber nicht in diesem Schulsystem, denn das war schon damals kaputt und ist es heute noch mehr.

Schule muss sich neu erfinden. Und zwar komplett! Wie genau? Danach fragt Gabriella Rauber in ihrer Blogparade: „Schule anders denken – mutige Ideen für Bildung“.

Das sind meiner Ansicht und Erfahrung nach die wichtigsten Punkte für eine Erneuerung des Konzepts Schule:

Allgemeinbildung anders denken

Das gehört doch zur Allgemeinbildung!“ Dieser Satz ist immer mit ein bisschen Empörung verbunden. Er enthält ganz viel Überheblichkeit, ganz viel „wenn ich das weiß, musst du das gefälligst auch wissen, sonst bist du dumm“.

Interessanterweise gehören zu dieser ominösen Allgemeinbildung vor allem hehre Bildungsziele wie Jahreszahlen oder klassische Literatur. Persönliches Stressmanagement, das Bedienen einer Waschmaschine und eines Akkuschraubers oder der kritische Umgang mit Informationen gehören dagegen nicht dazu. Obwohl gerade die Hans-Jürgens und Renates, die die Nase über mangelndes Goethe-Wissen rümpfen, in diesen Bereichen manchmal echten Nachholbedarf hätten.

Unsere Vorstellung von Allgemeinbildung ist völlig überaltert! Sie stammt aus Zeiten, in denen man nur wenig einfachen Zugang zu Wissen hatte.

Natürlich müsste ich vieles im Kopf haben, wenn ich ansonsten umständlich in die Bibliothek gehen und dort in einem Lexikon nachschlagen müsste. Aber so ist die Welt schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ich kann in Sekundenschnelle alles nachschlagen, was ich wissen will, und mir selbst zu den abseitigsten Themen eine Anleitung oder ein Tutorialvideo anschauen.

Allgemeinbildung ist kein Selbstzweck. Etwas zu wissen, weil man es eben wissen sollte, ist Quatsch (und genau aus diesem Grund Schüler*innen nur schwer zu vermitteln). Trotzdem sind die Lehrpläne voll mit genau diesen Inhalten.

Die eigentliche Definition von Allgemeinbildung sollte doch lauten: Dinge, die man wissen und können sollte, weil sie uns im Leben weiterbringen. Und dann sehen die Inhalte völlig anders aus als vor 10, 20 oder 50 Jahren.

Ein paar Beispiele:

  • Mathe: Kopfrechnen, ein Verständnis für Prozentzahlen und eine gute Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten helfen im Alltag und sind für viele lebenspraktische Dinge nützlich. Schriftliches Dividieren braucht dagegen niemand mehr, weil man für so komplexe Rechnungen immer das Handy zücken würde. Und von Integralrechnung fange ich gar nicht erst an …
  • Geschichte: Das Wissen über frühere Gesellschaften, Werte, Gewohnheiten und Dynamiken ist wichtig, um unsere heutige Zeit zu verstehen. Aber dafür muss niemand wissen, wann die Völkerschlacht von Leipzig war, wie die deutschen Kaiser hießen (natürlich in passender Reihenfolge) oder an welchen Orten die einzelnen Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg geschlossen wurden.
  • Deutsch: Sich gut ausdrücken zu können (schriftlich wie mündlich) ist extrem wichtig. Das hilft beim Bewerbungsschreiben genauso wie im Streitgespräch mit dem Kundenservice. Auch Lesekompetenz und ein Gefühl für Sprache und Grammatik sind zentral. Aber ich muss keinen fünfhebigen Jambus erkennen, das Plusquamperfekt definieren können oder „Die Räuber“ gelesen haben.

Ich bin überzeugt: Würden wir „Allgemeinwissen“ anders definieren und immer wieder anpassen, wäre für das Schulsystem schon sehr viel gewonnen. Aber da gibt es noch weitere Punkte, die dringend überarbeitet werden sollten:


Hausaufgaben anders denken

Das Konzept von Hausaufgaben hat sich spätestens mit der Verfügbarkeit von KI ad absurdum geführt. Von der Matheaufgabe über die Englischübersetzung bis hin zur Gedichtanalyse kann ChatGPT jede Aufgabe in Sekundenschnelle lösen und in vielen Fällen besser erklären als die Lehrer*innen oder Schulbücher.

Ich erkenne das, wenn Schüler*innen KI benutzen!“, höre ich dann manchmal und möchte die Leute, die so was sagen, am liebsten auslachen.

Nein. Tut ihr nicht. Ihr erkennt vielleicht hin und wieder, wenn Schüler*innen zu stümperhaft damit umgehen. Aber ich garantiere euch, dass ihr mindestens 90 Prozent des KI-Gebrauchs nicht mal ahnt.

Hausaufgaben in der bisherigen Form funktionieren nicht mehr und sollten abgeschafft werden. Als alternatives Konzept schlage ich folgendes vor:

  1. Es gibt die Vereinbarung, dass die Schüler*innen eine feste Stundenzahl pro Woche selbstständig außerhalb der Schule lernen oder üben. Diese Vereinbarung basiert in erster Linie auf Vertrauen. Die Schüler*innen halten schriftlich fest, was sie in dieser Zeit gemacht haben, in erster Linie für ihre Selbstorganisation.
  2. Die Schüler*innen erfahren detailliert, was sie für die nächste Prüfung können und wissen müssen und/oder warum das, worum es im Unterricht gerade geht, wichtig für sie ist.
  3. Sie bekommen immer wieder Gelegenheit, zu überprüfen, wo sie Lücken haben, wo ihnen Verständnis fehlt und wo sie üben müssten. Damit meine ich keine benoteten Arbeiten, sondern zum Beispiel Quizzes oder Probearbeiten zur Selbsteinschätzung.
  4. Die Lehrer*innen stellen ihnen Möglichkeiten zur Verfügung, mit denen sie diese Lücken schließen können. Arbeitsblätter, Übungsaufgaben, Tipps zum Nachlesen, was auch immer. Die Schüler*innen entscheiden selbst, was sie davon annehmen wollen. Wenn sie das tun (oder sich eigene Aufgaben suchen, die sie weiterbringen), können sie ihre Arbeiten den Lehrer*innen zum Drüberschauen geben, müssen aber nicht.
  5. In diese Form des selbstorganisierten Lernens wird KI aktiv mit einbezogen: „Wenn du etwas nicht richtig verstanden hast, lass es dir noch mal von ChatGPT anders erklären.“ Dazu gehört natürlich auch, sinnvolle Prompts zu schreiben und das Ergebnis kritisch zu hinterfragen. Medienkompetenz eben.
  6. Es gibt Lerngespräche mit den einzelnen Schüler*innen, um mit ihnen zu reflektieren, wo sie stehen und was sie brauchen, um eigenständig üben zu können.

Klingt utopisch? Ein bisschen. Ist aber schon sehr nah an dem, was Montessori-Schüler*innen ab der ersten Klasse lernen. Es braucht eben Übung, Umdenken und Motivation statt Zwang.

Das machen die Schüler*innen doch sowieso nicht? Sicher nicht alle und schon gar nicht von heute auf morgen. Aber sind wir mal ehrlich: Sie machen ja ihre Hausaufgaben auch nicht und lernen dabei gar nichts, außer der Erkenntnis, dass Lehrer*innen völlig bescheuert sind.


Erziehung anders denken

Für die Basiserziehung sind wir nun wirklich nicht da, das müssen schon die Eltern übernehmen!“ Diese Sichtweise ist gerade in Lehrerzimmern weit verbreitet und ich halte sie mehr und mehr für falsch.

Theoretisch wäre es natürlich toll, wenn Kinder schon „fertig“ in die Schule kämen. Wenn Eltern den Kindern beigebracht hätten, wie sie sich selbst organisieren, wie sie in der Gruppe funktionieren, welche Regeln und Werte in der Schule gelten und wie sie für ihre Bedürfnisse einstehen können. Das wäre super. Aber so ist es eben nicht. Viele Kinder können diese Dinge nicht, wenn sie in die Schule kommen. Und manchmal bringen sie nicht mal die grundlegendsten Fähigkeiten mit.

Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben, aber die sind gar nicht mal so wichtig. Wichtig ist: Es zementiert soziale Ungleichheiten, wenn bei Erziehungsfragen zu stark das Elternhaus bemüht wird. Die meisten Eltern leisten wahnsinnig viel und geben sich Mühe. Und wo es anders ist, da ist mit einer gerümpften Nase und einem verächtlichen Schulterzucken so gar nichts gewonnen.

Wenn ein Kind nicht gelernt hat, wie man Konflikte löst, mit Frust umgeht oder sich den Tag strukturiert – soll es dann einfach durchs Raster fallen, weil das halt „Elternsache“ ist?

Die Schule ist nicht nur für Bildung zuständig, sondern auch für die Erziehung. Und diese Aufgabe sollte sie (wenn nötig) auch bei den basalsten Dingen übernehmen. Liebevoll, stärkend und ohne Augenrollen.


Werte in der Schule anders denken

Kinder und Jugendliche verbringen den Großteil des Tages in der Schule. Es ist quasi ihr Beruf und gleichzeitig ihr Lebensraum, ob sie es wollen oder nicht. Und deshalb sollte Schule so sicher und empowernd sein wie möglich.

Sie sollte Kindern und Jugendlichen bei ihrer Entwicklung helfen und sie nicht unnötig begrenzen. Sie sollte sie fit für ein glückliches, gesundes und erfolgreiches Erwachsenenleben machen, statt sie „auf die Härte des Lebens vorzubereiten“. Sie sollte Vielfalt und Individualität fördern, statt von allen die gleichen Leistungen und Verhaltensweisen zu verlangen.

Ein paar Gedanken dazu:

Sportunterricht anders denken

Der aktuelle Sportunterricht ist eine Katastrophe für Kinder und Jugendliche, die nicht schon von Haus aus sportlich sind. Er fordert Leistungen ab, die nicht innerhalb des Unterrichts zu erreichen sind, sondern schon mitgebracht werden müssen. Und er trägt bei vielen Schüler*innen dazu bei, dass sie sich in ihrem Körper unwohl fühlen und eine Aversion gegen Bewegung entwickeln.

Sportunterricht sollte Spaß an unterschiedlichster Bewegung fördern, und zwar auf jedem Leistungsniveau. Er sollte das Körpergefühl verbessern und Schüler*innen beibringen, wie sie sich gesund halten können.

Das geht nicht mit Noten und auch nicht mit dem ewigen Basketball-Handball-Schwebebalken. Es braucht ein Umfeld, in dem sich die Schüler*innen mit unterschiedlichsten spannenden Bewegungsformen ausprobieren können, ohne dass sie und ihr Körper dabei bewertet werden.

Literarische Klassiker kritisch hinterfragen

Viele der Klassiker im Deutsch- oder Englischunterricht sind moralisch mehr als fraglich:

Die Hauptfigur in Goethes Faust ist ein etwa 50-jähriger Mann, der sich magisch verjüngt und eine Minderjährige schwängert, die daraufhin keinen anderen Ausweg sieht, als ihr Kind zu töten. Sie wird zum Tode verurteilt, Faust bleibt natürlich straffrei. Und das ist diese große Literatur, die alle unbedingt gelesen haben sollten?

Ein anderes Beispiel: Romeo und Julia gelten als romantischstes Liebespaar aller Zeiten. Für mich sieht die Sache anders aus: Die Geschichte handelt von einem 13-jährigen Mädchen und einem ca. 16- bis 17-jährigen Jungen, die sich weniger als eine Woche kennen, bevor sie beide aus unerfüllter Liebe zu Tode kommen. Und diese überstürzte Teenagerbeziehung in einem Umfeld voller Gewalt und Rache und mit einem katastrophalen Ende ist der Inbegriff von Romantik, Liebe und hoher Kultur?

Meiner Meinung nach sollten solche Bücher und Theaterstücke in der Schule gar nicht mehr behandelt werden. Zumindest braucht es einen viel kritischeren Blick darauf.

Religionsunterricht abschaffen

Die Kirchen haben in Schulen nichts zu suchen. Keine weitere Erklärung nötig.

Individualität schätzen und fördern

Schüler*innen sollten lernen und täglich erfahren, dass Vielfalt und Individualität etwas Gutes sind.

Dass sie so sein dürfen, wie sie wollen, solange sie niemandem schaden.

Dass es nicht darum geht, alles zu können, sondern die eigenen Stärken zu kennen und auszubauen.

Dass man sich nicht zu viel mit anderen messen sollte, dafür aber gerne mit dem eigenen Ich von gestern.

Dass man nicht dafür abgestraft wird, anders auszusehen, eine Behinderung zu haben, sich nicht im binären Geschlechtersystem wiederzufinden, neurodivergent zu sein oder ungewöhnliche Interessen zu haben.

Aber ich fürchte, das ist von allem, was ich beschrieben habe, die größte Utopie.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.