Suche
Suche Menü

Gastartikel: Volkmar im Prozess der ADHS-Diagnose

Gastartikel: Volkmar im Prozess der ADHS-Diagnose (Titelbild zum gleichnamigen Blogartikel, zeigt einen stilisierten Kopf, über dem Fäden und Puzzleteile schweben)

Volkmar erzählt, warum die ADHS-Diagnose oft so kompliziert ist …

Auf einen meiner letzten Newsletter bekam ich eine sehr nette Antwort von Volkmar. Er hat die ADHS-Erfahrungsberichte aus meiner Blogparade gelesen und sich in vielem wiedergefunden. Aber er bringt noch zwei ganz neue Perspektiven mit ein:

  • Erstens sieht er sich als Mann mit Symptomen des unaufmerksamen ADHS-Typs in den Beschreibungen von AD(H)S noch kaum repräsentiert. Ich schreibe ja immer wieder, dass Frauen sehr häufig nicht „typisch“ nach ADHS aussehen. Sie sind oft weniger hyperaktiv und kämpfen stärker innerlich. Diese unaufmerksame Form von ADHS (die man früher als ADS bezeichnet hat) gibt es aber natürlich auch bei Männern. Und diese werden dann unter Umständen genauso leicht übersehen wie Frauen mit ADHS. Oder vielleicht sogar noch ein wenig mehr, weil sie nicht in das typische Bild eines Mannes mit ADHS passen. Genau das ist bei Volkmar der Fall.
  • Und zweitens hat Volkmar bisher noch keine offizielle ADHS-Diagnose und der Diagnostikprozess gestaltet sich schwierig. So geht es vielen Betroffenen und ich freue mich, dass Volkmar in diesem Gastartikel über die Probleme in der Diagnostik und über seine persönlichen Erfahrungen schreibt.

Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen! Das ist der Gastbeitrag von Volkmar:

ADHS im Erwachsenenalter – mitten im Diagnostikprozess (Gastbeitrag)

Hinweis: Dieser Text beschreibt persönliche Erfahrungen während einer noch laufenden Diagnostik auf ADHS, möglicherweise kombiniert mit Autismus. Es liegt noch keine gesicherte Diagnose vor.

Warum ich darüber schreibe

ADHS im Erwachsenenalter ist ein Thema voller Hürden. Wer den Weg in die Diagnostik geht, trifft schnell auf lange Wartezeiten, widersprüchliche Einschätzungen und alte Klischees.

Ich befinde mich aktuell mitten in einer strukturierten Zweitmeinung. Mein Ziel: herausfinden, ob ADHS, eventuell in Kombination mit Autismus, eine stimmige Erklärung für meine Erfahrungen ist.

Hürden in der ADHS-Diagnostik

Aus meinen bisherigen Erfahrungen lassen sich einige typische Stolpersteine benennen:

  • Kindheitsdaten: Aufgrund des fortgeschrittenen Alters nur schwer oder gar nicht mehr verfügbar, was die Erstellung einer vollständigen Entwicklungsanamnese erschwert.
  • Klischees als Filter: Atypische ADHS-Profile werden leicht übersehen.
  • Uneinheitliche Testergebnisse: Auffälligkeiten bei Aufmerksamkeit, Inhibition oder Arbeitsgedächtnis werden nicht immer im Zusammenhang betrachtet.
  • Fokussierung auf ältere diagnostische Verfahren, die mögliche Neurodivergenzen nach heutigen Standards nicht ausreichend berücksichtigen.
  • Starre Strukturen: Getrennte Diagnostikbereiche für ADHS und Autismus verhindern eine integrierte Sichtweise.

Leben im „Zwischenraum“

Der Status „Diagnostik läuft noch“ hat Auswirkungen:

  • Für mich: Ich erkenne viele ADHS-Muster, habe aber keine offizielle Bestätigung.
  • Für mein Umfeld: Manche reagieren mit Verständnis, andere ordnen es als Charaktersache ein.
  • Für Hilfsangebote: Ohne Diagnose bleiben viele Türen verschlossen.

Typische Alltagserfahrungen mit ADHS

Ich mache im Alltag viele Erfahrungen, die mit ADHS und/oder Autismus im Zusammenhang stehen können, zum Beispiel diese:

  • Impulsivität und Emotionen: Reaktionen können sehr intensiv sein und lassen sich nicht immer steuern.
  • Shutdowns: Unter starkem Druck kommt es zu einem kompletten Rückzug – oft missverstanden als Desinteresse.
  • Reizverarbeitung: Koffein wirkt beruhigend statt aktivierend.
  • PDA-Muster (Pathological Demand Avoidance): starker Verhandlungsdrang, Widerstand gegen Fremdbestimmung, schnelle Überforderung bei wahrgenommenem Druck.
  • Selbstregulation: Kleine repetetive Handlungen helfen, Anspannung abzubauen.

Kritische Punkte im bisherigen Prozess meiner ADHS-Diagnose

  • Einseitige Übernahme bisheriger Diagnosen ohne Prüfung neurodivergenter Ursachen.
  • Fokussierung auf überholte Verfahren, die neue Sichtweisen auf Neurodivergenz nicht mit einbeziehen.
  • strukturelle Rahmenbedingungen, die Überschneidungen gar nicht erfassen.

Warum ich das offen teile

Zwei Gründe sind mir wichtig:

  1. Leserinnen und Leser sollen wissen, dass dies eine Zwischenbilanz ist.
  2. Auch „unfertige“ Geschichten tragen dazu bei, das Bild von ADHS im Erwachsenenalter zu vervollständigen.

Was sich in der ADHS-Diagnostik ändern sollte

Damit die ADHS-Diagnose in Zukunft zuverlässiger vonstatten gehen kann, sind einige Veränderungen nötig:

  • mehr Wissen über atypische ADHS-Profile
  • integrierte Diagnostik statt isolierter Fachbereiche
  • kürzere Wartezeiten und weniger formale Hürden
  • mehr Sichtbarkeit für Erfahrungsberichte – auch ohne fertige Diagnose

Fazit

Die Diagnostik von ADHS im Erwachsenenalter erfordert Geduld, Selbstaufklärung und Beharrlichkeit. Auch wenn mein Prozess noch läuft, möchte ich Mut machen, dranzubleiben – und gleichzeitig zeigen, wie komplex diese Realität ist.

Viele Grüße

Volkmar


 

Mehr Sichtbarkeit für ADHS-Erfahrungsberichte“, das ist einer der Punkte, die sich aus Volkmars Sicht ändern müssten, damit die ADHS-Diagnose in Zukunft einfacher und zuverlässiger sein kann. Ich sehe das genauso wie er. In den letzten Jahren hat sich die wissenschaftliche Einschätzung von ADHS drastisch verändert und diese neuen Erkenntnisse sind leider noch längst nicht bei allen Menschen angekommen. Sowohl bei Laien als auch bei Fachleuten gibt es immer noch unfassbar viele Missverständnisse, Irrtümer und Falschannahmen über ADHS. Hier habe ich schon einmal darüber geschrieben.

Ich bin überzeugt: ADHS-Erfahrungsberichte können dazu beitragen, diese Irrtümer nach und nach aufzulösen. Deshalb veröffentliche ich immer wieder gerne solche Erfahrungen hier auf meinem Blog. Falls du auch eine Geschichte rund um ADHS zu erzählen hast, schreib mir gerne!

Übrigens: Ich baue gerade ein Onlinekurs-Programm für spätdiagnostizierte ADHSler*innen auf. Der Arbeitstitel ist „ADHS-Diagnose – und jetzt?“. Der Kurs richtet sich an Menschen, die als Erwachsene eine ADHS-Diagnose bekommen haben, gerade in einem Diagnostikprozess stecken oder sich als Erwachsene neu mit ihrer ADHS-Kindheits-Diagnose beschäftigen. Das klingt interessant für dich? Dann trage dich hier unverbindlich in die Warteliste ein und du bekommst rechtzeitig alle Infos, wenn es losgeht!

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Birgit,

    vielen Dank, dass ich meine Erfahrungen hier teilen durfte.
    Vielleicht finden sich andere, die gerade mitten in einem ähnlichen Diagnostikprozess stecken, in meinen Schilderungen wieder – und merken, dass sie mit ihren Fragen und Unsicherheiten nicht allein sind.

    Liebe Grüße
    Volkmar

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.